«Einen Coffee to go, bitte.» «Gern, das macht 593’690 Franken.»
Zu Beginn des Erwerbslebens muss jeder eine wichtige Entscheidung fällen: Trinke ich
Kaffee oder werde ich Millionär?
Der Artikel ist ursprünglich auf The Market (NZZ) erschienen.
Der Kaffee oder das Gipfeli am Morgen auf dem Weg zur Arbeit gehört bei vielen zur
täglichen Routine. Beliebt sind der Iced Brown Sugar Oat Shaken Espresso und das Ham & Cheese Croissant, wie man Kaffee und Gipfeli heutzutage nennt, nicht nur beim Banker,
sondern auch bei Studenten. Gleichzeitig höre ich oft gerade bei Letzteren, dass das Geld
Ende Monat leider nicht mehr reiche, um noch etwas zu sparen und zu investieren.
Ersparnisse aufzubauen ist nicht einfach, denn es bedeutet immer auch Verzicht auf
heutigen Konsum. Ersparnisse aufzubauen, heisst aber nicht, dass man auf jeglichen Luxus
verzichten muss. Was zumindest mir hilft, nicht allzu viel zu konsumieren, ist folgendes: Man
sollte sich bewusst sein, dass der Coffee to go, der Butterbretzel oder der High Protein
Milchdrink ein Preisschild haben – und dass dieser Preis höher ist als derjenige auf dem
Kassenzettel.
Der wahre Preis von Coffee to go…
Nehmen wir den Coffee to go und ein Gipfeli – in Zürich sind das schnell mal 8, 9 oder sogar 10 Franken. Rechnen wir für das Beispiel mal mit 8.90 Fr. Wer sich dies fünfmal pro Woche gönnt, gibt insgesamt 2’314 Fr. pro Jahr für Kaffee aus. Wer mit 18 Jahren beginnt und dies bis zur
Pensionierung macht, hat in diesen 47 Jahren insgesamt 108’758 Fr. für Kaffee und Gipfeli
ausgegeben. Doch das ist nur die Summe auf dem Kontoauszug oder im E-Banking.
Die wahren Kosten – die Opportunitätskosten – zeigen sich, wenn wir uns anschauen, was
mit dem Geld stattdessen im Aktienmarkt passiert wäre.
Eine Investition von 2’314 Fr. pro Jahr summiert sich bei einer erwarteten Aktienrendite von
6 Prozent pro Jahr nach Abzug der Inflation auf 593’690 Fr. Richtig gerechnet kostet uns der
Kaffee und das Gebäck also fast das Sechsfache. Statt 8 Franken 90 sind es also eigentlich über 50 Franken.
…am Beispiel des Schweizer Aktienmarkets
Nun mag man einwenden, dass Aktien nicht in jedem Jahr 6 Prozent abwerfen. Korrekt. Um
diese Unterschiede darzustellen, habe ich das obige Beispiel für alle 47-jährigen
Anlageperioden der letzten 100 Jahre gerechnet (jeweils inflationsbereinigt). Obwohl man
Coffee to go damals vermutlich noch nicht kannte: Mein im Jahr 1926 geborene Grossvater
hätte das Kaffeegeld also von 1944 bis 1990 in Aktien investiert und so rund 300’000
Franken verdient. Am besten abgeschnitten hätte ein «Kaffeeverweigerer» von 1975 bis
2021. Dank guter Kursperformance wäre aus einer jährlichen Investition über 2’314 Franken
in den Schweizer Aktienmarkt fast eine Million geworden. Schlecht hingegen lief es in der
Periode von 1928 bis 1974. Am Schluss wären damals «nur» rund 250’000 Franken auf dem
Konto gewesen. Dennoch: Selbst in diesem schlechtesten Fall zeigt sich der Effekt des
Zinseszinses und eines langfristigen Anlagehorizontes: Die Ersparnisse wuchsen
inflationsbereinigt auf das 2,5fache an. Der Schnitt liegt bei etwas mehr als 500’000 Fr.
Umgerechnet auf eine Altersrente entspricht das etwa 2’000 Franken pro Monat.
Eine Frage der Priorisierung
Wer wie ich übrigens keinen Kaffee trinkt: Das Beispiel funktioniert auch mit vielen anderen
nicht überlebensnotwendigen Konsumausgaben: Mineralwasser ohne Kohlensäure,
Süssgetränke, Vitamindrinks, etc. Insofern bin ich überzeugt, dass «ich habe kein Geld zum
Sparen» fast immer Bequemlichkeit oder ein Ausgabenproblem ist und nur sehr selten ein
tatsächlicher Notstand. Es ist schlicht eine Frage der Priorisierung: Möchte man lieber
Kaffee trinken oder Millionär werden?