Selbstüberschätzung – ein schlechter Ratgeber

Niemand kann die Zukunft vorhersagen – auch wenn viele Anleger das glauben. Diese Selbstüberschätzung schmälert die Rendite erheblich.

Der Artikel ist ursprünglich auf The Market (NZZ) erschienen.

Was würden Sie sagen: Fahren Sie besser Auto als der Durchschnitt?

Die Antwort ist gemäss Umfragen recht eindeutig: Rund 70 bis 80 Prozent aller Befragten schätzt sich überdurchschnittlich ein – der Rest immerhin als Durchschnitt. Insbesondere Männer leiden an Selbstüberschätzung.

Beim Anlegen ist es ähnlich. Wer hat nicht den Kollegen, der weiss, dass diese Aktie oder jene Kryptowährung in den nächsten Monaten um 100 Prozent steigen wird? Oder dass demnächst eine Rezession folgen wird und man Wertpapiere jetzt besser abstosst, um sie in einem Jahr günstiger zurückzukaufen?

Dabei ist es nicht mal immer zwingend Selbstüberschätzung. Oft sehen wir Muster, wo gar keine Muster sind. Ein Beispiel: Ein Anleger beobachtet, dass der Aktienmarkt in den letzten drei Jahren jeweils im Oktober gefallen ist. Er verkauft deshalb seine Aktien Ende September – überzeugt davon, ein Muster erkannt zu haben. Doch diese vermeintliche Regelmässigkeit ist so zufällig wie dreimal hintereinander „Kopf“ beim Münzwurf. Der nächste Oktober bringt dann prompt steigende Kurse.

Man sollte Glück nicht mit Können verwechseln

Leider kennt niemand die Zukunft. Zumindest habe ich noch niemanden kennengelernt. Und auch die Wissenschaft scheint niemanden zu kennen. Im Gegenteil: Die Forschung kommt in unzähligen Studien zum selben Ergebnis: Der durchschnittliche Anleger kann den Markt nicht vorhersagen. Selbstverständlich finden sich immer Personen, die glauben, sie wissen es besser. Doch meistens verwechseln diese Personen schlicht Glück mit Können.

1’000 Personen sollen für die nächsten 10 Münzwürfe raten, ob die Münze jeweils Kopf oder Zahl zeigt. Führen wir das Experiment durch, wird es am Schluss (im Schnitt) eine Person geben, die die Abfolge vollständig richtig geraten hat. Diese Person kann dann ihre Expertise für viel Geld verkaufen – würden wir das Experiment nicht mit Münzen, sondern mit Aktienprognosen machen.

Selbstüberschätzung führt dazu, dass Anleger häufiger handeln und Market Timing betreiben, also versuchen Kursbewegungen zu prognostizieren. Die Forschung veranschlagt die Kosten von Market Timing auf langfristig rund 1,5 bis 2 Prozentpunkte Rendite pro Jahr. Was nach wenig klingt, ist viel. Ein Aktieninvestment über 10’000 Fr. steigt so nach 30 Jahren auf weniger als 40’000 statt 60’000 Fr.

Aus vergangenen Kursentwicklungen lassen sich künftige nicht ableiten – wäre dies möglich, die Person, die das könnte, wäre schnell auf Platz 1 der reichsten Menschen der Welt. Gewiss, einzelne wissenschaftliche Studien zeigen Ausnahmen auf, doch die gelten nur sehr, sehr bedingt und eingeschränkt und lassen sich durch den Kleinanleger sowieso nicht profitabel ausnutzen.

Der Artikel soll aber kein Plädoyer dafür sein, einfach nichts zu tun und nur global diversifiziert und passiv zu investieren. Ich entscheide mich selber auch bewusst für gewisse Einzeltitel, weil ich denke, dass sie künftig besser rentieren werden. Doch man sollte sich bewusst sein, dass dies vermutlich nicht der Fall sein wird. Und wenn doch, war es vielleicht auch einfach nur Glück?

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Bernhard Heim
Bernhard Heim
30 Tage zuvor

Hallo Patrick
Kannst du mal was über die Barbell Strategie von Taleb machen?

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[…] können. Die meisten verwechseln hier schlicht Können mit Glück. Siehe hierzu auch meinen NZZ-Artikel vom Mai. Nur weil ich beim Würfeln zweimal nacheinander die Zahl richtig geraten habe, würde mich nun […]